BRANCHENWISSEN
Umwandlung von Büroflache zu Wohnraum
Nicht mehr genutzte Gewerbefläche bietet das Potenzial für bis zu 235.000 Wohnungen
12 Min. Lesedauer
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Das in der Corona-Pandemie millionenfach praktizierte Homeoffice und die oft positiven Erfahrungen von Arbeitgebern mit der Arbeit von daheim könnten in Deutschland bis 2025 bis zu 16 Mio. Quadratmeter Büroflächen überflüssig machen – und damit Raum für rund 235.000 Wohnungen. Die Kosten der Umnutzung liegen bei nur gut einem Drittel der Neubauinvestitionen. Diese These jedenfalls wird in einer aktuellen Studie des Verbändebündnisses „Soziales Wohnen“ vertreten.
350 Mio. Quadratmeter Büroflächen gibt es deutschlandweit nach Kenntnis des Kieler Beratungsinstituts ARGE. Würde nur ein Prozent davon in Wohnraum umgenutzt, könnten 50.000 Wohnungen á 70 Quadratmeter entstehen. Die Kieler Immobilienexperten gehen davon aus, dass knapp 40 Prozent der Büroarbeitsplätze auch ins Homeoffice verlegt werden könnten. Daraus ergebe sich ein Potenzial von 136 Mio. Quadratmetern, die theoretisch Raum für fast 2 Mio. Wohnungen bieten würden.
Doch die von einem Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ aus Mieterbund, Caritas, IG Bau sowie zwei Verbänden der Bauwirtschaft beauftragten Experten aus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt wollen den Konjunktiv nicht überstrapazieren. Trotzdem sehen sie bis 2025 ein Potenzial von 235.000 Wohnungen in vormaligen Bürogebäuden.
Die Umnutzung bisheriger Büroflächen in Wohnraum ist nach Berechnungen der ARGE wesentlich günstiger als Wohnungsmodernisierung oder Neubau. Da viele Büro- und Verwaltungsgebäude über eine moderne Bausubstanz verfügen und mit Komfortmerkmalen wie Fahrstühlen ausgestattet sind, summieren sich die Umbaukosten nach den Zahlen der ARGE auf nur 1.108 Euro pro Quadratmeter. Das liegt deutlich unter den Aufwendungen für die Vollmodernisierung eines Altbaus (2.214 Euro pro Quadratmeter) und erst recht eines Wohnungsneubaus (2.978 Euro pro Quadratmeter).
Damit eignet sich die Umnutzung von Büroflächen aus Perspektive des Verbändebündnisses ideal zur Schaffung preisgünstigen beziehungsweise öffentlich geförderten Wohnraums, der insbesondere in den Metropolen sowie den sogenannten Schwarmstädten fehlt. Ideal ist aus Sicht der Studienautoren und -auftraggeber, dass sich Büroimmobilien oft in Innenstädten sowie etablierten Stadtteillagen finden. Die Grundstücke sind also bereits erschlossen und an Infrastruktur wie ÖPNV angebunden, was die Kosten für Bauherren und die öffentliche Hand weiter senkt.
Doch gerade Büroimmobilien aus den 1960er bis 1980er Jahren finden sich konzentriert in Gewerbegebieten, in denen Wohnen verboten ist, oder an Ausfallstraßen mit starken Emissionen, die sich mit dem Wohnen nicht vertragen. Der ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss hat im Rahmen der Gespräche zum Baulandmobilisierungsgesetz bereits gefordert, Hemmnisse zur Umnutzung abzubauen. Dazu zählen Lärmschutz oder Einschränkungen durch Bebauungspläne sowie die Baunutzungsverordnung.
Tatsächlich erweitert die Diskussion zur Konversion von Büros in Wohnungen die bereits vor der Corona-Pandemie laufende Debatte um die Reurbanisierung von Innenstadtlagen. In der Krise sind zunehmend – nun noch forciert durch die Shutdowns – die stark einzelhandelsdominierten Quartiere, deren Attraktivität mit dem zunehmenden Online-Handel schwindet. Zur diskutierten stärkeren Nutzungsdurchmischung gehört neben Kultur, öffentlichen Einrichtungen und der Aufwertung öffentlicher Räume – wie sie der ZIA in seinem Herbstgutachten empfiehlt – auch das Comeback der Innenstadt als Wohnort.
Darum gibt es in zahlreichen Großstädten Baurecht für neue Projekte nur bei Schaffung von Wohnraum. Die Umnutzung von Büroflächen könnte die Erhöhung des Wohnflächenanteils in den bisherigen CBD (Central Business Districts) beschleunigen – sofern die Prämisse zutrifft, dass mehr Homeoffice den Büroflächenbedarf senkt.
Wie im ZIA-Herbstgutachten ausgeführt, gehen zahlreiche aktuelle Studien davon aus, dass in Folge der Digitalisierung sowie der stärkeren Nutzung des Homeoffice der Büroflächenbedarf mittel- bis langfristig um rund 10 Prozent sinkt – zumal es in Deutschland Nachholbedarf beim Homeoffice gibt. Vor der Pandemie lag der Anteil der Home- oder Mobile-Office-Arbeit in Deutschland bei 12 Prozent, während in Frankreich (25 Prozent) oder den Niederlanden (30 Prozent) wesentlich höhere Anteile erfasst wurden.
In den sieben Metropolen Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart summiert sich die Bürofläche aktuell auf 90 Mio. Quadratmeter – weitere 5,5 Mio. Quadratmeter sind bis 2024 in Bau oder Planung. 10 Prozent wären gut 9 Mio. Quadratmeter – Raum für rund 130.000 Wohnungen mit je 70 Quadratmeter Wohnfläche.
Im Herbstgutachten wird jedoch auch darauf verwiesen, dass seit 2006 Effizienzgewinne – ein Rückgang von 27 auf 25 Quadratmeter je Arbeitsplatz – oder leicht zunehmende Heimarbeit durch den Zuwachs um 2 Mio. Büroarbeitsplätze überkompensiert wurden. So lag der durchschnittliche Leerstand bei Büroflächen in den Top-7-Metropolen Ende 2019 nach Zahlen von JLL bei 3 Prozent und erhöhte sich bis Ende 2020 moderat auf 3,7 Prozent. Weiterhin herrscht gerade für moderne Büroflächen in attraktiven Innenstadtlagen ein Nachfrageüberhang.
Zudem gibt es widerstreitende Aussagen zur Bereitschaft der Arbeitgeber, das Homeoffice nach der Pandemie auf deutlich höherem Niveau zu verstetigen. Nach einer Anfang Februar veröffentlichten Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter 1.200 Unternehmen im vierten Quartal 2020 wollen zwei Drittel der Arbeitgeber das Homeoffice nach der Krise wieder auf das Vor-Corona-Niveau zurückführen und nur 6,4 Prozent der Betriebe wollen ihre Bürofläche binnen der nächsten zwölf Monate reduzieren.
Höher ist die Bereitschaft allerdings – auch das bestätigt die IW-Studie – bei größeren, international agierenden Unternehmen wie Facebook, Microsoft oder Siemens, mehr Homeoffice zu ermöglichen. Unternehmen, die in der Wirtschaft oftmals als Trendsetter vorangehen.
Ob daher so vergleichsweise kurzfristig – bis 2025 – das von der ARGE skizzierte Potenzial für die Schaffung von 235.000 Wohnungen auf vormaligen Büroflächen gehoben werden kann, hängt stärker von der weiteren konjunkturellen Entwicklung ab als vom betrieblichen Strukturwandel zugunsten des Homeoffice.
Photocredit Header: Foto von Charles Parker von Pexels